1. Der schwere Koffer ...


    Datum: 01.06.2023, Kategorien: Reif Autor: Alexander vonHeron

    ... waren wohl jenseits der zwanzig und flügge. Vielleicht dreißig sogar und dann irgendwo in der Weltgeschichte herum verstreut. Ganz abgesehen davon, dass ich natürlich keine Ahnung hatte, ob sie überhaupt welche hatte. Aber sie wirkte schon so - reif eben!
    
    Vermutlich kam sie von einem Besuch zurück, Tochter oder Schwester tippte ich, auch wenn es dafür keinen Anhaltspunkt gab.
    
    »Junger Mann!«, meinte sie, als ich die Koffer nach außen auf den Bahnsteig geschwungen hatte und ich ihr von unten her die Hand als Stütze anbot. Die Stufen beim alten ICE waren doch um einiges steiler als bei den neuen. Wie sie ohne Hilfe es geschafft hätte, war mir schon ein kleines Rätsel. Zum Bahnhof jetzt gemeint - wo es doch Träger nicht mehr gab. Und Rollwägen, die man mit einem Euro bestücken konnte - auch die schienen nicht mehr existent zu sein.
    
    Der Koffer war definitiv mit Ziegel beladen. Und noch ein Mo­dell ohne Räder obendrein!
    
    »Danke, ich komm schon - zurecht!«, meinte sie ein wenig verlegen. Ihre Finger trafen sich kurz mit meinen, wo ich meine noch um die Schlaufe ihres Ledergriffs gelegt hatte. Jahrgang min­destens aus dem letzten Jahrhundert, dachte ich und schüttelte den Kopf.
    
    »Zum Ausgang hin so denke ich, haben wir den gleichen Weg!«
    
    Sie nickte und lächelte, versuchte gar nicht zu widersprechen. Demnach würde sie wohl auch kaum jemand unten oder vor dem Bahnhof abholen, schlussfolgerte ich.
    
    Ihre Finger waren sehr warm, sehr gepflegt. Für eine Sekunde lang ...
    ... dachte ich einen sanften Druck zu fühlen. Einem Streicheln kam es beinahe gleich, als sie ihre Hand zurück zog.
    
    »Oh ja, danke!« meinte sie nochmals und trabte neben mir her.
    
    Nicht immer hinkte sie, nur manche Bewegungen waren es, die ihr scheinbar einen Stich gab - zumindest fiel mir das auf. Vielleicht eine Blase rechts an der Ferse, das schien ein feines Hin­ken zu verursachen. Oder ein anderes Auftreten eben, vorsichtig und nicht kräftig den Fuß platzierend.
    
    Mit einer Hand rollte ich meinen Koffer, in der anderen ba­lan­zierte ich den ihren.
    
    »Schwer?!«, hinterfragte sie erneut und sah etwas betroffen drein. Ihre Lippen, ein klein wenig mit diesen feinen Fältchen versehen, ihre Haut rein und all die sonstigen Zeichen ihres Alters gut vertuscht. Dennoch eher an die sechzig, dachte ich mir. Aber sehr attraktiv ihre ganze Erscheinung. Der Sommermantel aufge­knöpft, eine saubere weiße Bluse darunter. Der oberste Knopf geöffnet, sodass man nur die Andeutung ihrer Mulde sehen konnte. Sicher schönes Holz vor der Hütte, verpackt in etwas mit Rüschen. Altmodisch. Aber nett und einladend.
    
    Sie war sicher eine Schönheit gewesen.
    
    Dh eigentlich war sie das auf ihre Art noch immer. Herbst eben aber nochmals ein Aufblühen zu erkennen.
    
    Sie lächelte als hätte sie die Komplimente meiner Gedanken erkannt und das andere weggefiltert.
    
    »Geile Alte!«, hatte ich mir erlaubt, zu denken. Und ohne Grund auch, eher aus Jux und Tollerei heraus auch - wer weiß, wann die zuletzt gefickt ...
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