Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... Verharren in dieser glückseligen Gewissheit, dass alles einfach nur noch geschehen würde. Und alles, was es zu tun gab, war, das in vollen Zügen zu genießen.
Erst in der Wohnung schaltete sich langsam wieder mein Kopf zu. Regulierte sich alles wieder in der vertrauten Umgebung ein. Sank zögernd ein, dass sich mein Leben nun so radikal verändern würde, wie ich es mir nicht einmal hätte erträumen oder vorstellen können. Aber da war keine Spur von Angst. Keine mahnende Stimme im Hintergrund, die "Moment mal" säuselte oder "denk nochmal über alles in Ruhe nach".
Dabei konnten mich, den Kopfmenschen, die kurzen Momente der non-rationalen Gewissheit doch eigentlich rational noch gar nicht überzeugt haben. Ich konnte doch noch gar nicht so weit sein, auch mir selbst da so vollständig zu vertrauen, wie ich es tat. Was war das?
"Du grübelst?", riss mich Claudia aus den Gedanken.
"Ich frage mich, warum mein Kopf sich nicht gegen seine Entmachtung wehrt", erklärte ich zögernd.
"Weil sie das nicht ist. Weil du genau wie ich auch rational wahrnimmst, dass wir uns wunderbar ergänzen und ausbalancieren. Probiere es mal, suche nach einem Argument, warum wir nicht zueinander passen könnten."
"Oh..."
Ich dachte wirklich eine Weile nach, während wir in der Küche saßen und einen Kaffee tranken. Es war tatsächlich schon früher Nachmittag, der Spaziergang und die Einkäufe hatten weit länger gedauert, als uns das vorgekommen war. Wie war das möglich? Mir fiel
ein... ...
... absolut nichts.
Weil ich noch nicht alles über sie wusste? Ihre Schattenseiten noch nicht kannte? Aber was konnten die sein? Außer normalen Regungen, wie eben auch mal verbal zurückzuschlagen, wenn sie sich angegriffen fühlte, hatte ich nichts von ihr gehört, was in diese Richtung gehen könnte. Hm.
Und selbst wenn sie mir mal wehtun würde... ich fürchtete mich nicht vor Schmerzen, weder körperlichen noch seelischen. Ich selbst... begann mir zu vertrauen, wusste um meine Möglichkeiten, aber ebenfalls meine Grenzen. Traute mir das notwendige Wachstum, die Offenheit gegenüber positiven wie negativen Erfahrungen ehrlich zu. Ich fürchtete mich nicht vor einem Versagen.
"War es das, was du ebenfalls für dich klären musstest? Darum die Fragen, Kinderwunsch, meine Einstellung zu Gewalt, zur Religion?"
"Ja, obwohl ich mir da nur Bestätigungen für meine vorhandenen Vermutungen eingeholt habe. Und es sicher noch tausend andere Dinge gibt, über die wir nicht gesprochen haben. Aber es kommt immer wieder dasselbe Ergebnis: Wir mögen in Nuancen anders über manche Dinge denken, oder aus einer anderen Sichtweise an sie herangehen, aber im Prinzip sind wir immer in einem Bereich, wo es nur geringe Abweichungen gibt. Wo wir den Standpunkt des anderen vielleicht nicht hundertprozentig teilen, aber er dem eigenen doch entweder so nahe ist, oder so akzeptabel ist, dass sie wunderbar miteinander vereinbar sind. Oder wir sie einfach so nebeneinander stehenlassen können."
Das stimmte. ...