Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... zugestimmt, mich von ihr leiten lassen. Wie machte sie das nur? Eine bewusste Manipulation wollte ich ihr nicht unterstellen.
Waren alle Frauen so? War sie ein geeignetes Studienobjekt für die Frau als solche? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das Verrückte war, dass allein ihre Anwesenheit und Art mir ein anderes Studienobjekt aufdrängte, wie gleichfalls ihre Fragen. Nämlich mich. War Kampf und Kämpfen wirklich meine Lebenseinstellung, mein Umgang, meine Auseinandersetzung mit dem Leben?
Irgendwie schon. Ich kämpfte um Kontrolle, Selbstbeherrschung, maximale Effizienz und Leistung, Ordnung und klare Strukturen in Denken und Handeln. Hatte bis jetzt den Luxus gehabt, in einer Umwelt zu leben und zu agieren, wo dies nicht nur möglich, sondern erwünscht gewesen war.
Mich niemand hinterfragte. Niemand mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ich mich in einem Panzer einschloss... tat ich das? Doch, ganz sicher sogar. Und das konnte man sehen? Oder nur sie?
Der Student, dem ich gerade geistesabwesend das Wechselgeld gereicht hatte, stutzte, ging noch einen Schritt zur Tür und kehrte dann um.
"Sie haben mir zu viel rausgegeben, ich hatte ihnen nur einen Zehner gegeben", meinte er und hielt mir den überzähligen Zehn-Euro-Schein hin.
"Oh, vielen Dank. Ich war ganz in Gedanken", gab ich zurück und dann meiner echten Freude Ausdruck. "Freut mich, dass es auch noch ehrliche Menschen gibt."
Er zog die Schultern hoch, das Lob war ihm offensichtlich peinlich und ...
... dann verließ er den Laden. So einen Spruch hätte ich früher nicht gemacht, vielleicht nur später als eine erfreuliche Geschichte meiner Mutter erzählt. Was ging jetzt in mir vor? Es war Bewegung in mein Leben gekommen, durch diese Frau, durch Claudia.
Durch diesen Hauch von Anarchie, der sie umgab, die ich noch vor Tagen gefürchtet und gemieden hatte, wie der Teufel das Weihwasser. Wie Veränderungen, das Überraschende, nicht Absehbare, Unberechenbare. Das alles hatte sie innerhalb von drei, vier Gesprächen gekippt. Mich neugierig gemacht, voller Vorfreude und Erwartung auf das Kommende. Irre.
Was für eine faszinierende Frau. So natürlich und... Hoppla. Jetzt gingen doch schon die Gäule mit mir durch. Wenn ich nicht aufpasste, verliebte ich mich noch in sie. Ganz langsam. Nicht den Kopf verlieren. Erst einmal in Ruhe den Schock verdauen. Welchen Schock?
Dass eine Frau in meine kleine beschauliche Welt eingebrochen war, in mein Leben und meine Gedanken? Etwas in Bewegung gesetzt hatte, was sich über Jahre als angenehm empfundener Stillstand etabliert hatte? Schon erste Barrieren zum Fallen gebracht hatte, in meinem Denken Schranken geöffnet? Was, wenn dies mit meinen Gefühlen, niederen und höheren auch geschah?
Das konnte keineswegs ihre Intention sein, vermutlich hatte sie genau solche Schwierigkeiten, mich einzuschätzen und mit mir umzugehen, nur äußerte sich das bei ihr auf andere Weise. Dass ich "so anders" war, hatte sie mir ja bereits mitgeteilt. Und niedlich. ...