Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... meine?"
"Doch, ich glaube schon. Ein Selbstdarsteller."
"Exakt. Dass er damit versuchte, die Unsicherheit zu kompensieren, die er bei gesellschaftlichen Anlässen dieser Art empfand, ging mir dann aber auf, als wir uns irgendwann alleine unterhielten. Da war er nämlich völlig anders. Und wirklich interessant. Sogar sein Humor war erträglicher", meinte sie mit sanftem Lächeln.
"Und er interessierte sich für mich. Stellte mir tausend Fragen, ließ alle anderen links liegen, obwohl da sicher interessantere Leute auf der Party waren. Seine akademischen und beruflichen Erfolge teilte er mir in Nebensätzen mit. Er war schon zu dieser Zeit auf seinem Gebiet eine gewisse Berühmtheit."
"Wie alt war er da?"
"Zweiunddreißig, er ist fünf Jahre älter als ich, wir waren ein Jahr zusammen, bevor wir geheiratet haben."
"Und du hast dich schnell in ihn verliebt?"
"Blitzschnell. Noch an dem Abend auf der Party. Ich... hätte auch schon in der Nacht mit ihm geschlafen, aber er schien nicht mal auf die Idee zu kommen, wollte lediglich meine Telefonnummer. Na ja, wir trafen uns in der Woche darauf, sind Essen gegangen, und danach dann tatsächlich auch ins Bett. Und das war... anders. Er ist ein wirklich guter Liebhaber, aufmerksam, geduldig, stellte meine Bedürfnisse voran. Und befriedigte die wirklich gründlich. Am Anfang zumindest."
"Verstehe. Aber das war nicht alles, was dich an ihm reizte?"
"Nein, natürlich nicht. Er erweckte den Eindruck, mich wirklich zu ...
... verstehen, wirklich um mich bemüht zu sein. Mir den Himmel auf Erden bereiten zu wollen. So war es auch für mich, vielleicht die ersten zwei oder drei Jahre. Egal wie eingespannt in seiner Arbeit er war, fand er immer ausreichend Zeit für mich, war liebevoll und aufmerksam, hatte viele der Eigenschaften, die ich in einem Mann wünschte. Und wünsche", fügte sie hinzu und sah mich an. "Die du ebenfalls hast."
"Danke für die Blumen. Was änderte sich dann?"
"Wir beide änderten uns. Seine Karriere wurde ihm wichtiger, er war einer großen Sache auf der Spur, die Arbeit, die ihm später die Nominierung einbrachte. Ich verstand und akzeptierte, dass er deshalb weniger Zeit für mich hatte. Und das bedeutete für mich, dass ich mich wieder mehr mit mir selbst beschäftigen konnte. Mit Körperarbeit und Meditation, Lesen und ich habe sogar an der Uni ein paar Vorlesungen als Gasthörer besucht, die mich interessierten. Mein Job forderte mich nicht wirklich, also konnte ich mir dies zeitlich und von der Energie her ohne Weiteres leisten. Er fand das gut, obwohl er bei den Themengebieten, die mich interessierten, schon anfing mit seinem "kein Kommentar" eine gewisse Enttäuschung und Genervtheit bei mir auszulösen."
"Er konnte deine Faszination nicht nachvollziehen."
"Nicht nur das, er äußerte sich nicht dazu, weil ihm klar war, dass sein Standpunkt hierzu mir nicht gefallen würde. Er drückte sich davor, sich mit mir auf Diskussionen darüber einzulassen. Aber das war nicht alles, was sich ...