1. In ihrer Anschaulichkeit


    Datum: 30.08.2024, Kategorien: Schamsituation Autor: fil84

    ... geben, der lieber auf gute Schulleistungen setzte anstatt auf Empathie zu einer Mitschülerin. Weitere nackte Tatsachen waren für diese Unterrichtseinheit nicht vorgesehen. Aber noch etwas geschah. Die Wortmeldungen der Schüler geschahen nicht mehr geordnet, sondern alle begannen, durcheinanderzureden und kreuz und quer zu diskutieren. Noch nie hatte sie die 9b chaotisch oder rebellisch erlebt, im Gegensatz zu anderen Schulklassen. L. musste das Heft in der Hand behalten. Aber das erschien ihr nicht schwer, es waren ja von den Schülern selbst Vorschläge gekommen, die weitere Schulstunde zu gestalten. "Meine Lieben", sagte sie, "gleich können wir weitermachen, dann werde ich auf eure geäußerten Wünsche eingehen. Aber vorher möchte ich, dass ihr kurz sammelt und zusammenfasst, was alles von euch Zuschauern genannt wurde. Ja bitte, Lars!" Und Lars nannte die Aspekte: Mitgefühl und Fremdscham, vereinzelt auch Schadenfreude. "Genau so, danke. Gibt es vielleicht noch etwas, was nicht genannt wurde?" Hier hielt sie kurz inne. Sollte man das ansprechen? Kurz entschlossen überließ sie diese Entscheidung demjenigen, der sich entsprechend geäußert hatte. "Jacob. Fällt dir noch etwas anderes ein? Sascha, dir vielleicht, oder einer von euch Damen?" - Jacob lächelte etwas befangen und wiederholte kleinlaut, was er verspürt hatte, anfangs und später. Christina fügte hinzu, sie kanne es von ihrem älteren Cousin und anderen Jungen. Aber das Thema fand sie sehr unbehaglich, vor allem sich ...
    ... selbst betreffend. Auch L. fand es sicherer und angebrachter, das beiseite zu lassen und ihre eigenen Phantasien gut von ihrer Unterrichtstätigkeit zu trennen. So fuhr sie fort: "Wir haben also als Zuschauer erstens größtenteils empathisch gedacht und empfunden. Zweitens haben wir uns fremdgeschämt. Wir sehen, diese beiden Empfindungen sind einander durchaus ähnlich, wobei Ersteres allgemeiner und Letzteres spezifischer ist. Ich glaube, Christoph hat vorhin sehr anschaulich beschrieben, wie sich Fremdschämen anfühlt, nämlich teilweise, als wäre man selbst Mittelpunkt und nicht Betrachter der Schamsituation, obwohl man sich tatsächlich weitab vom Geschehen befinden kann. So starke Auswirkungen hat die Emotion des Fremdschämens.
    
    Der letzte, von Lars genannte Aspekt war die Schadenfreude. Jasmin, bei dir erinnere ich es. Kannst du uns noch etwas dazu sagen?" - Jasmins Aufmerksamkeit fand zurück zu L. und sie fragte zunächst, was genau sie denn daran beschreiben sollte. Dann sagte sie: "Also, ich hab ihr sowas schon gegönnt. Es war schon in Ordnung, innerlich musste ich grinsen, ganz ehrlich. S. und ich mögen uns ja nicht so sehr, und dann steht sie da vorne, völlig klein und wehrlos und findet kein Erdloch, in das sie verschwinden kann ..." - "Jasmin, ist gut jetzt..." fuhr Melanie dazwischen. S. hörte, wie jemand freimütig zugab, ihre Demütigung in vollen Zügen genossen zu haben. Das ohrfeigte sie. Und diese Person plus mutmaßlich weitere schauten nun sicherlich zu ihr und sahen ...
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