Abschluss
Datum: 25.01.2019,
Kategorien:
Reif
Autor: Achterlaub
Jetzt sitze ich schon eine Woche jeden Abend in der schäbigen Eckkneipe, die ich in den vergangenen Jahren kaum zweimal jährlich besucht habe. Der Wirt ist zwar freundlich, strahlt indes eine gewisse Reserviertheit aus, was ihn von anderen seiner Spezies deutlich, und ich muss sagen für mich positiv, abhebt. An den Qualm habe ich mich zwar als Nichtraucher kaum gewöhnen können. Er stört mein Befinden allerdings auch nicht nennenswert. Diese Abende im schummrigen Licht, das weder den Zigarettenrauch noch die Ausdünstungen der wenigen Gäste zu durchdringen vermag, sind mir vertraut geworden. Sie geben meiner Stimmung Widerhall. Schließlich war der Tag der Beerdigung meiner Tante gleichzeitig Startpunkt meiner Beziehung zu diesem Ecklokal. Obwohl man sich hier eigentlich nicht wohl fühlen kann in dem Mief, dem schäbigen Mobiliar und inmitten kümmerlicher Gestalten, war mir diese Umgebung wichtig geworden. Diese Leere gab mir endlich Gelegenheit in Gedanken die bedeutsamen Stationen meines bisherigen Lebens zu durchmessen. Da war nicht viel in der Rückschau. Denn ich war vor wenigen Wochen erst 25 Jahre alt geworden. Aber es waren doch etliche beachtenswerte Ereignisse, die mich über die Jahre prägten. Der Tod der Tante - sie hieß übrigens Mechthild - sollte mir End- und gleichzeitig Startpunkt für mein weiteres Leben sein. So beschloss ich, immer nur auf vier oder fünf große Bier zu bleiben und mir in gefälligen Abschnitten mein bisheriges Leben vorzunehmen.
Montag
Wir ...
... haben Mechthild gegen Mittag zu Grabe getragen. Sie war erst Mitte vierzig. Das Herz wollte nicht mehr. Sie war mitten auf der Straße tot zusammengebrochen. Zwei Bekannte aus der Nachbarschaft standen mit mir zusammen an der Grube, die ihren Sarg aufnehmen sollte. Verwandtschaft gab es keine. Auch habe ich niemals von Freundinnen oder näheren Bekannten erfahren. Mechthild war stets für sich. Das verband uns ganz besonders. Denn ich bin seit meinem vierzehnten Lebensjahr bei ihr aufgewachsen. Mein Vater war unbekannt. Und meine geliebte Mutter hatte mich damals plötzlich verlassen. Sie war erst Mitte dreißig. Aber das wusste der Autofahrer nicht, als er sie auf dem Fußweg zerschmetterte. Er war bei Eis von der Fahrbahn abgekommen, trieb über den Trottoir, wo er meine Mutter mitnahm und landete schließlich in dem Schaufenster eines Möbelgeschäfts. Da war ich das erste Mal allein.
Mechthild hat mich noch am selben Tag zu sich genommen. Sie war die einzige Verwandte. Ich musste dafür meine Heimatstadt, eine Kleinstadt im Badischen, verlassen und zu ihr nach Hamburg in die Hafenmetropole ziehen. Wenn ich es recht bedenke, habe ich seitdem keinen rechten Freund mehr gefunden. In der Schule wie in der Freizeit bei einer der vielen Jugendmannschaften des FC St. Pauli blieb es bei flüchtigen Kontakten. Umso mehr wuchs die Verbindung zur Tante. Sie hatte zwar nie Kinder haben wollen. Aber das ließ sie mich nie spüren. Mich behandelte sie wie ihr eigenes Kind. Es fehlte mir an nichts. ...