Die Nachtigall
Datum: 21.04.2019,
Kategorien:
Sci-Fi & Phantasie,
Autor: byHirnfickliterat
„In den Hügeln und kleinen Wäldchen Cornwalls erzählt man sich die Geschichte, wie die Nachtigall zu ihrem Namen gekommen ist. Der Sage nach sind diese Vögel nämlich verzauberte Feenwesen. Einmal im Jahr für eine Nacht nehmen sie menschliche Gestalt an. Sie werden zu einer bezaubernden jungen Frau und verwirren einem Jüngling die Sinne" erzählte die alte Frau und lächelte Ralph an. „Ich danke Ihnen, dass Sie mir geholfen haben, meinen Einkauf in mein Cottage zu bringen! Und ich wünsche Ihnen, dass Ihnen heute auf dem Heimweg eine Nachtigall begegnet!" fügte sie verschmitzt an und tätschelte dem jungen, gut aussehenden Mann die Hand.
„Gern geschehen, Mrs. Hedgeson!" lächelte Ralph zurück. „Sie sind doch die einzige Frau in meinem Leben!"
„Das wäre schlimm, junger Mann!" gab die alte Dame entrüstet zurück, aber auch ein wenig geschmeichelt.
„Ach, ich habe vor lauter Arbeit gar keine Zeit für die Frauen" erklärte Ralph. „Nächsten Dienstag wieder um dieselbe Zeit?"
„Gern! Gott segne Sie!" verabschiedete die Seniorin den jungen Mann.
Ralph half der alten Dame jetzt schon seit über einem Jahr beim Einkauf und trug ihr die Lebensmittel im Rucksack und in der Einkaufstasche nach Hause. Dabei unterhielt er sich mit ihr und genoss es, etwas anderes um die Nase zu haben als seinen Büroalltag.
Außerdem kam er durch den Weg hinaus zum Cottage auch zu einer kleinen Wanderung durch die verzauberte Landschaft Cornwalls. Und auch das tat ihm gut.
Es dunkelte schon, als ...
... er einen kleinen Buchenhain passierte. Da hörte er plötzlich Gesang. Leise und in einiger Entfernung sang eine Frauenstimme eine betörende und sinnliche Melodie. Sie schien aus dem Wäldchen zu kommen. Wie magnetisch angezogen folgte er seinem Gehör und trat nach etwa 50 Metern auf eine kleine Lichtung. Da sah er sie. Die schönste Frau, die er je gesehen hatte, schlank und voller Anmut. Sie saß auf einem Baumstamm, der quer über einen Teil der Lichtung lag und sang leise in einer unbekannten Sprache. Er sah ihr Profil und plötzlich erstarrte er. Im dunkelnden Wald hatte er es nicht direkt gesehen. Sie trug ein Flügelpaar auf dem Rücken.
In ein hauchzartes Kleid gehüllt, das ihre Schultern freiließ und ihr weiße, schimmernde Haut mehr enthüllte als verhüllte, sang sie mit halb geschlossenen Lidern und der Wald schien ihr zu lauschen.
Ralph blieb wie hypnotisiert stehen und betrachte die Schöne und lauschte ihrem berauschenden Gesang.
Sie sang ohne Worte. Und doch verstand Ralph irgendwie, wovon sie sang. Er sah in seinem Kopf einen kühlen Wind über grasbewachsenen Hügel und kleine Wälder streichen. Das Gras wogte und das Laub der Bäume bewegte sich unter dem Streicheln des Windes. Zwei Vögel neckten einander mit ihrem Gesang. Der eine, es war das Weibchen, lockte den anderen zwitschernd zu einer überwucherten Hecke, verstummte dann und trippelte ins hohe Gras.
Der männliche Vogel suchte und rief nach ihr, bis sie endlich antwortete von einem umgestürzten Baum aus. ...