Die Verkündigung
Datum: 18.06.2019,
Kategorien:
Nicht festgelegt,
Autor: byRomeoReloaded
Maria kniete nieder. Vorsichtig schob sie ihren Kopf über den Rand des Bauzauns hinaus, bis sie mit einem Auge um die Ecke blicken konnte. Brinkmann, Tonne und Meckie. Gleich drei der Oberidioten des Viertels hockten gelangweilt auf der Straße, die um die Baustelle herumführte.
Meckie glotzte sogar in ihre Richtung. Aber er suchte einen guten Meter zu hoch nach Opfern, da, wo ihr Kopf gewesen wäre, hätte sie sich nicht hingekniet. Sofort zog sie sich hinter die Bretterwand zurück. Mist. Jetzt blieb ihr wieder nur Schleichweg mitten über die Baustelle, um unbehelligt zur Schule zu kommen.
Fünfzig Meter vor der Ecke, um die sie eben gespäht hatte, gab es ein loses Brett im Zaun. Maria schrammte sich den Ellenbogen auf, als sie sich mit ihrer Tasche unter dem Arm durch die schmale Lücke zwängte. „Fuck, fuck, fuck", fluchte sie leise vor sich hin.
Sie hasste den verbotenen Weg über die Baustelle. Dauernd wurde sie dabei dreckig, zerriss sich die Kleidung oder holte sich kleine Schrammen. Aber alles war besser, als den verkackten Idioten der Gangs in die Hände zu fallen. Wer zu welcher Gang gehörte, war ihr egal, die waren alle gleich bescheuert.
Die dicke Verena kam nicht durch die Lücke im Bauzaun. Neulich war sie verheult und mit zerrissener Bluse in der Schule aufgetaucht. Die ganze Zeit wackelte sie auf ihrem Stuhl herum, als tue ihr das Sitzen weh. Verena hatte niemandem verraten, was genau passiert war, aber Maria hatte sich geschworen, eher zu sterben und ...
... zur Hölle zu fahren, als diese Schweine an sich ran zu lassen.
Zum Glück war das alles hier bald vorbei. Die letzten paar Tage Unterricht, dann noch die Prüfungen, und schon hieß es: „Fick dich, Schule! Ich bin hier raus!" Egal, was Mam sagte, sie würde sofort zu Hause ausziehen. Einfach weg und die ganze Scheiße hinter sich lassen.
Maria blickte zum Himmel auf. Er sah wüst aus, dunkle Wolken türmten sich übereinander als stünde eine neue Sintflut bevor. Hoffentlich fing es nicht an zu regnen, während sie über die riesige Baustelle lief. Das fehlte gerade noch, dass alles nass und matschig würde. Die neuen Adidas waren echt teuer gewesen, die durften nicht so schnell dreckig werden.
Normalerweise ging sie um den Rohbau herum, das halbfertige Gebäude war ihr nicht geheuer. Aber der Weg außen herum war länger, und der Himmel verfinsterte sich wirklich von Minute zu Minute mehr. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, wenn sie nicht noch in ein Scheißgewitter kommen wollte. Also mitten durch.
Hohl klangen ihre Schritte auf dem blanken Beton. Wieder mal fragte sie sich, warum hier keiner mehr weiterbaute. Würde diese Ruine jetzt ewig so stehen bleiben? Oder würde man alles wieder abreißen, bevor es je fertig geworden war? Hoffentlich riss man dann das ganze verdammte Viertel mit ab.
Sie ging vorsichtig. Draußen war es schon finster genug gewesen, und hier hinein fiel noch weniger Licht. Sie musste aufpassen, wo sie hintrat, um nicht über irgendwas zu stolpern. Womöglich ...