1. Der Cassandra Komplex


    Datum: 24.08.2023, Kategorien: Romantisch Autor: postpartem

    ... gerade bei Gefühlen ist von vor Überraschungen nie sicher... das ist aber sicher eine interessante Diskussion, die wir zu einem späteren Zeitpunkt einmal führen könnten und sollten. Du siehst etwas müde aus, das war doch sicher deutlich zu wenig Schlaf für dich?"
    
    "Oh, stimmt schon, es war etwas weniger als gewohnt, aber auch mit wenig Schlaf gut auszukommen lernt man beim Bund."
    
    "So, so. Du hast noch eine ganze Weile gebraucht, um einzuschlafen, nicht wahr?", kam ihre Frage, die ich genauso wenig wie ihren Gesichtsausdruck dabei einordnen konnte.
    
    "Das ist richtig... wieso...", setzte ich an.
    
    "Die Wände sind recht dünn...", gab sie ihre völlig korrekte Einschätzung bekannt. Ich hatte das Gefühl, vor Scham im Boden zu versinken. Oh mein Gott. Sie hatte mitbekommen, wie ich meinen Schlaf induziert hatte? Verdammt, das Bett quietschte tatsächlich leise, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.
    
    So, wie sie umgeräumt hatte, waren unsere Betten tatsächlich nur von der, wie ich wusste, dünnen Rehgipswand voneinander getrennt. Mein Vater hatte diese selbst eingezogen, es war vorher ein Riesenraum mit zwei Eingängen gewesen.
    
    "Das ging mir ganz genauso. In jeder Beziehung. Darum bin ich heute Morgen auch deutlich später aufgewacht", holte sie mich aus meinen Gedanken ab. "Kein Grund zur Aufregung... oder falscher Scham."
    
    Es fiel mir schwer ihrem Blick standzuhalten, der allerdings ihre Worte noch einmal zu bekräftigen schien. Natürlich, es ist ganz natürlich, ...
    ... schoss mir durch den Kopf. Moment, wenn ich sie richtig verstanden hatte, hatte sie auch... oh weia... sie nickte zu allem Überfluss auch noch, als ob sie meinen Gedankengang nachverfolgen konnte.
    
    "Ehm... ich hatte ganz vergessen, wie hellhörig die Wohnung ist, das tut mir leid."
    
    "Komm, das braucht dir nicht leid zu tun. So leise, wie ich gestern dabei war, bin ich übrigens auch nicht immer. Nur zur Info. So, das war richtig lecker. Wollen wir die zwei Teller zusammen abwaschen und dann rüber?"
    
    Nun, die eine oder andere Minute hätte ich lieber noch gesessen, zumal dieses Gespräch, wie auch ihr augenblickliches Fingerabschlecken, nicht spurlos an mir vorübergegangen waren. Egal, Augen zu und durch. So aufmerksam, wie sie mich sonst auch beobachtete, dort schaute sie sicher nicht hin. Oder?
    
    Wir räumten gemeinsam ab und kümmerten uns um den kleinen Abwasch. Als ich den fast vollen Bio-Mülleimer beim Einfüllen der Knochen bemerkte, tat sich zudem ein Fluchtweg zur Abkühlung auf.
    
    "Ehm... ich bringe mal schnell die Bio-Müll runter", erklärte ich.
    
    "Lass doch, können wir morgen früh mit runternehmen. Schnapp dir lieber noch den Rest des Trägers aus dem Kühlschrank und dann gehen wir in mein Zimmer. Ich bin echt neugierig, was du dazu sagen wirst."
    
    Ich war völlig von den Socken, als wir in ihrem Zimmer standen. Trotz der vertrauten Möbel war es in der Tat kaum noch wiederzuerkennen. Meine Mutter hatte alles ihrer Persönlichkeit entsprechend sehr nüchtern und ohne jeden ...
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