Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... anderes Thema. Du sagtest, du meditierst? Ich habe etliche Zen-Bücher bei dir gesehen. Bist du Buddhistin?"
"Nein, ich folge keiner organisierten Religion. Ich glaube auch nicht an irgendeinen Gott, ein höheres Wesen oder irgendetwas in der Art. Schon, dass es eine Art Potential, ein Sein und Wahrnehmung auf höherer Ebene gibt, die einem Menschen nur auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung zugänglich ist. Dass es dieses Satori gibt, diese Erleuchtung, oder wie auch immer man das nennen will. Aber das ist nicht etwas, auf das ich hinarbeite, ich habe da viel bescheidenere Ziele. Ausgeglichenheit, Einklang, das Erkennen und Entwickeln eigener Potentiale, Körperbewusstsein und Körperkontrolle, so etwas halt. Da hilft auch Meditation. Es hilft mir, zur Ruhe zu kommen, zu mir selbst zu finden, meine Mitte zu finden, auch wenn das jetzt schrecklich nach dem New Age Zeug klingt. Die Techniken, die ich dabei verwende, stammen allerdings vom Zen. Ich finde auch die Philosophie, die dahintersteht, sehr attraktiv. Aber es ist wie bei vielen Dingen so, dass ich mich mit Elementen identifizieren kann, andere mich hingegen stören oder zumindest nicht überzeugen. Nimm diese Körperbewusstsein-Geschichte zum Beispiel. Die Erkenntnisse und die Methoden sind valide, aber sie kommen aus einer Zeit und einem Ort, wo mit vielen Therapieformen experimentiert wurde. Die Herangehensweise der Amerikaner, die Einstellung, diese Enklave in Kalifornien, die sich geschaffen hatte, wirkt ...
... übertrieben, unnatürlich, auf schnelle Ergebnisse ausgerichtet. Selbstfindung als Konsumgut, als Außenleistung von besonders talentierten Therapeuten und nicht das, was sie wirklich ist, wenn sie erfolgreich sein soll: Ein langsamer, fortwährender Prozess, der Willen, ein Bewegungsmoment und eine klare Richtung braucht, dann aber von selbst läuft und nur noch unwahrscheinlich viel Geduld und Aufmerksamkeit braucht. Sie haben richtig gedacht und Wege gefunden, Werkzeuge, die Umsetzung allerdings... Nun, vielleicht bin ich zu sehr Individualistin, oder ich habe einfach noch niemanden gefunden, der mich von seiner Sache vollständig und rückhaltlos überzeugen konnte."
"Wenn du jetzt wieder den Eindruck gewinnst, dass ich mich verpanzere, liegt das nur daran, dass ich gerade vor Bewunderung und Ehrfurcht vor dir erstarre", trug ich bei. "Du bist mehr wie nur eine Individualistin, du bist ein Unikat. Unikum trifft Unikat, na wenn das nicht der Stoff für eine großartige Geschichte ist."
"Dann schreib sie doch. Vielleicht finde ich sie so überzeugend, dass ich mich völlig und rückhaltlos darauf einlassen möchte... Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals jemand für meine Lebenseinstellung und Auseinandersetzung mit mir und meiner Umwelt bewundert hat, oder vor Ehrfurcht vor mir erstarrt ist. Ich müsste aber lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das Kompliment kalt lässt. Weil ich spüre, dass du das voll ehrlich meinst. Junge, Junge, für jemanden der vorgibt, überhaupt keine Ahnung ...