1. Der Cassandra Komplex


    Datum: 24.08.2023, Kategorien: Romantisch Autor: postpartem

    ... mit heiler Haut rausgekommen bin und meine Kameraden auch. Das war das, worauf ich vorbereitet gewesen bin. Auch ein Ziel zu werden. Ein anderes Mal wurde unser Konvoi von einer IED erwischt, da hat es Tote gegeben, aber nicht unter uns deutschen Soldaten. Es war ein Schock, weil es so völlig unerwartet kam, aber selbst das irgendwie mit dem vereinbar, worauf wir vorbereitet gewesen waren. Schlimmer war es zu sehen, wenn wir Flüchtlinge aus den Kampfgebieten zu sichern hatten und sie in Lager verlegten. Verwundete, Verstümmelte, zerstörte Leben und Familien, die nicht einmal sagen konnten, in wessen Feuer sie da geraten waren. Sie waren einfach im Weg gewesen, als die Auseinandersetzungen begannen. Keine der beiden Seiten hat auf sie Rücksicht genommen."
    
    "Das muss furchtbar gewesen sein."
    
    "Ja, weil wir uns so hilflos fühlten. Und dann... Auf einem Basar, wo wir zu dritt nach Dienstschluss in einer kleinen Stadt Andenken vor dem Ende unserer Tour kaufen wollten, hat sich am anderen Ende ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt und dreißig andere Menschen mit in den Tod gerissen. Das war das Andenken, was wir mit nachhause genommen haben, den Anblick zerfetzter Leiber, sterbender Verwundeter, und wir standen ohnmächtig dabei, konnten ohne unsere Sanitäter absolut nichts tun, nicht einmal vernünftig erste Hilfe leisten."
    
    "Komm, setz dich auf die Bank, du zitterst total", drang ihre besorgte Stimme aus großer Entfernung in mein Bewusstsein.
    
    "Das ist das ...
    ... Gesicht des Krieges heutzutage, da gibt es keine richtigen oder falschen Befehle, wo es moralisch einwandfreie Charaktere braucht. Es ist nur noch das Grauen zu verwalten und zu ertragen. Der Tod kommt aus der Luft und aus ferngezündeten und lebenden Bomben. Menschen sterben und töten aus Fanatismus, oder Angst vor der Veränderung. Kämpfen gegen eine andere Idee. Das ist Afghanistan. Es wird dort noch lange so weitergehen, der Konflikt wird nicht durch Landgewinn oder Verlust entschieden, nicht durch Strategie oder Enthauptungsschläge gegen die Führung des Gegners."
    
    "Und deshalb hast du die Bundeswehr verlassen? Weil sie dort nichts verloren hatte?"
    
    "Nein, weil diese Konflikte nicht mit Waffengewalt zu lösen sind. Die Situation hat sich insgesamt geändert, es ist unwahrscheinlich, dass wir noch einmal unser Land verteidigen müssen. Und der jetzige Konflikt... Die Lage ist paradox. Einerseits muss jemand für diese Menschen dort eintreten, ihnen Schutz vor der grausamen Willkür der Fanatiker bieten, andererseits ist das gar nicht möglich. Eine Idee kann man auch mit der bestausgerüsteten Armee nicht einkesseln und besiegen. Die Front sieht man nicht, sie ist immer und überall. Sie wird auch hier in Deutschland ankommen, aber die Bundeswehr wird nicht die sein, die die Verteidigung übernehmen kann."
    
    "Also sahst du deine Prämissen nicht mehr gegeben?"
    
    "Ich sah die Klarheit des Auftrags, aber auch der übergreifenden Strukturen nicht mehr gegeben. Zumindest dieser Krieg ist ...
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