Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... Manövern und Planspielen. Logistik. Wir hatten so viel mit Krieg zu tun, wie die Stadtverwaltung. Eine strukturierte Umgebung, klare Regeln und Vorschriften. Wobei ich hier Struktur nicht im strikten rombachschen Sinne meine. Ich hatte einfach einen Platz gefunden, wo ich mich weitestgehend wohlfühlte, meine Fähigkeiten einsetzen konnte und dafür anerkannt, ge- und befördert wurde."
"Und dann kam Afghanistan."
"Dann kam Afghanistan. Wenn du gesehen hättest, was der Taliban angerichtet hat, hättest du dich wie ich mich zunächst bestätigt gefühlt. Dem musste Einhalt geboten werden. So etwas darf es nicht geben. Erinnerst du dich an den Kameraden, von dem ich erzählt habe, den ich gehalten habe, weil er unter Schock stand? Es gab zwei Kinder, die uns Obst und Gemüse von ihrem Bauernhof verkauft haben, ein Junge von zehn Jahren und seine zwölfjährige Schwester. Trotzdem wir uns kaum mit ihnen verständigen konnten, hatten wir sie alle ins Herz geschlossen und ihnen Süßigkeiten und sowas zugesteckt. Zwei Kilometer von unserem Camp entfernt hat er sie dann enthauptet neben der Straße gefunden."
"Oh mein Gott."
"Ja, das muss furchtbar für ihn gewesen sein. Und das war Alltag. Aber nicht nur der Taliban mordete Unschuldige, Kinder und Greise, mal abgesehen davon was sie Frauen angetan haben. Es gibt keinen sauberen Krieg, keine intelligenten Waffen, die zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden. Wir haben gesehen, was die Luftangriffe der Alliierten angerichtet ...
... haben. In einem Dorf haben sie vielleicht zehn Taliban-Kämpfer erwischt und dreißig Zivilisten. Darunter viele Kinder. Uns wurde hinterher gesagt, es wurde ein falsches Ziel ausgegeben, das Gros der Truppen, die angegriffen werden sollten, befand sich im Nachbardorf. Keiner von uns hat das geglaubt, nebenbei. Die Wut, die du angesprochen hast, ja, die fühlte ich da, kalte, ohnmächtige Wut."
"Und... warst du auch gezwungen, auf andere Menschen zu schießen?"
"Wir hatten keinen Kampfauftrag. Wir sind einmal in einen Hinterhalt mit unserem Konvoi geraten und wurden beschossen, zum Teil auch mit schwereren Waffen. Unser Kommandeur hat die Entscheidung getroffen, durchzubrechen und die war in dem Moment richtig, sonst wären wir dort zermalmt worden. Also sind wir abgesessen haben wir das Feuer erwidert. Ich war Soldat. Auch dafür bin ich ausgebildet worden. Ich habe wie alle anderen auch zurückgeschossen, wobei man in dem Gelände mit unseren Waffen höchstens Zufallstreffer hätte landen können, aber zumindest haben wir sie so eine Weile beschäftigt. Es gelang uns dann relativ schnell uns abzusetzen, weil wir Unterstützung aus der Luft bekamen und uns der Weg sozusagen freigeschossen wurde. Auf unserer Seite gab es nur zwei Leichtverletzte."
"Und was hast du dabei empfunden?"
"Ehrlich gesagt nicht viel. Es war wie ein tausendmal geübter Vorgang, nur dass uns diesmal echte Kugeln und Granaten um die Ohren flogen. Es hat mich nicht sonderlich beeindruckt. Ich war froh, dass ich ...