1. Der Spaziergang


    Datum: 10.03.2020, Kategorien: Romantisch Autor: Nadine Schnitzer-Katzmann

    ... doch der Genuss der Wildniss dauert nicht lange und schon schieben sich die grossen kultivierten Felder in den Vordergrund.
    
    Gerade jetzt ist es die frisch umgebrochene Erde, die so typisch für den Herbst ist. Erinnerungen tauchen auf, an die Schulzeit, an Kartoffelleseeinsätze, an eisige Hände und Rückenschmerzen. Trotz allem hängt man diesem Gefühl der zeitlichen Unendlichkeit, des gemeinsamen «Leids» und wohliger Erschöpfung nach der ungewohnten körperlichen Arbeit mit einer gewissen Sentimentalität an. Wie so vielen Dinge, die lange vergangen sind und es irgendwie geschafft haben, einen besonderen, sicher verklärten Platz, im Langzeitgedächtnis zu finden.
    
    Gerüche sind für mich extrem wichtig. Damit verbinde ich viel. Gerüche können «kriegsentscheidend» sein, würde mein Grossvater sagen. Es gibt Beispiele, die könnte ich, gäbe es einen «Duftmeister», der diese Gerüche in kleinen Erinnerungsflacons eingefangen hält, auf Anhieb bestimmen. Aber das sind unwiederbringliche Dinge, sie bleiben einfach nur Erinnerungen, die man bestenfalls mit Wegbegleitern oder Zeitzeugen wieder aufleben lassen könnte. Eine dieser Erinnerungen leitet mich im Moment an. Es ist ein Duft, ich habe ihn früher schon einmal gerochen und im Unterbewusstsein verbinden sich damit warme und angenehme Erinnerungen. Dieser Geruch zieht mich weg vom kultivierten Ackerland, in den nahen Wald. Mein Hund ist begeistert! Ich weiss nicht, ob ich ihn je aus diesem Wald wieder heraus locken kann. Ich merke, ...
    ... wie sich die Landschaft um mich verändert und ich in Gegenden komme, bis zu denen ich in der Tat noch nie vorgestossen bin. An einer Weggabelung angekommen, entscheide ich mich für den «rechten Weg», in der Hoffnung, es möge auch einer sein. Müssig, jetzt schon über die Eventualitäten des linken Weges nachzudenken. Es ist Zeit für eine kleine Rast, jetzt schaue ich mich um. Es hat funktioniert, ich habe die ganze Zeit nichts gedacht! Der Herbst zeigt sich in seinen schönsten Farben und es ist schade, dass dieses Farbenspiel von nur so kurzer Dauer ist, es strahlt so viel Wärme und Behaglichkeit aus, zumindest an einem Tag wie heute mit blauem Himmel und angenehmen Temperaturen. Wir setzen unseren Marsch fort, es «läuft sich so weg». Inzwischen bin ich mehr auf den Weg konzentriert, mir fallen die Beschaffenheit, Höhenunterschiede und Randbewuchs auf. Es macht auch den Anschein, als wäre hier schon lange keiner mehr gewesen, nicht gelaufen und sowieso nicht gefahren. Das lässt mich einen Moment zweifeln, ob es die richtige Entscheidung war nach rechts zu gehen. Aber der Geruch wird intensiver. Ich werde mein Ziel bald erreichen.
    
    Langsam merke ich, wie die Sonne hier und da einmal hinter den Bäumen und einmal hinter einem Hügel verschwindet. Ich habe nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Nicht, dass ich in Panik gerate, aber ich sollte mich nach einer befestigten Strasse umschauen, um in Erfahrung zu bringen, wo ich bin. Doch irgendwie will sich nichts Derartiges finden ...
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