1. Rucksacktouren


    Datum: 21.06.2020, Kategorien: 1 auf 1, Autor: Herweg

    ... konnte. Ich griff in meine Jackentasche, kramte die Schokolade hervor, brach einen Riegel ab und hielt ihn ihr wortlos hin. Es war ihr anzusehen, wie sie mit sich kämpfte, ob sie den Riegel annehmen sollte. Aber letztendlich siegte das Verlangen nach Zucker.
    
    Circa eine Minute herrschte Schweigen. Ich schaute sie an. Sie gehörte genau zu der Gruppe von Leuten, mit denen ich nichts anfangen kann. In meiner Jugend hätte ich auf eine Kreuzung aus Gothic und Punk getippt. Aber gab es das überhaupt noch und wie nennt es sich heute? Umgekehrt muss ich ihr als der klassische Spießer vorgekommen sein.
    
    Ich fragte sie "Haben Sie Wasser dabei?" Sie nickte nur. "Ok, holen sie es raus." Mühsam begann sie in ihrem Rucksack zu kramen und holte zwei volle Flaschen Wasser hervor. "Wann haben sie das letzte mal etwas getrunken?" Als Antwort kam nur ein Kopfschütteln. "Soll das heißen, Sie haben heute noch nichts getrunken?" entfuhr es mir kopfschüttelnd. "Los trinken Sie, mindestens einen Liter." Sie zögerte, entschied sich dann jedoch zu trinken. Den ersten halben Liter trank sie ohne abzusetzen. "Wo wollen Sie hin?" fragte ich. "Ey Alter, dass kann Dir doch egal sein." war ihre Antwort. Spontan wollte ich sie sitzen lassen und einfach weitergehen. Aber sie war offensichtlich hilfsbedürftig. Auch wenn sie undankbar und unverschämt war. Es gibt leider immer wieder Menschen, die nicht selbst erkennen, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. "Ja, aber zur nächsten Unterkunft sind es noch fünf ...
    ... bis sechs Kilometer und die schaffen Sie so nicht." Sie schaute mich völlig verzweifelt an und fing dann an zu weinen. "Wissen Sie überhaupt wo Sie sind?" Vorsichtig schüttelte sie wieder den Kopf und wischte sich den Rotz mit ihrem Ärmel ab. Auf dem Ärmel blieb eine silbrige Schleimspur zurück. Ich dachte nach, was jetzt klug wäre: "Gut, ich nehme etwas von Ihrem Gepäck und dann gehen wir weiter." Mühsam kämpften wir uns den Pfad hinauf. Für die fünf Kilometer brauchten wir anstrengende zweieinhalb Stunden, die wir weitgehend schweigend verbrachten.
    
    Als wir endlich in der Jugendherberge ankamen, meldete ich mich an der Rezeption an. Das Einchecken klappte problemlos. Dann fragte ich: "Haben Sie noch ein Einzelzimmer für die Frau hier." Doch dann kam die ernüchternde Antwort: "Tut uns leid, aber wir sind ausgebucht. Wir haben drei Gruppen im Haus. Dadurch ist sogar der große Schlafsaal belegt. Die einzige Möglichkeit ist, dass Sie ihr Zimmer für zwei Personen bekommen können. Es sind zwei Stockbetten drin." Spontan lehnten wir beide ab. Wir gingen ein paar Meter zur Seite. "Wo werden Sie heute Nacht schlafen und essen?" fragte ich. Ihre Antwort war: "Keine Ahnung, Alter. Aber ich finde schon was ohne Dich. Dank." Ich dachte mir, gut, wenn sie es so will: "Na, dann noch einen guten Weg." sagte ich und packte meine Sachen, um in mein Zimmer zu gehen.
    
    In meinem Zimmer packte ich aus, duschte ausgiebig und war froh, die Geschichte hinter mir zu haben. Dann machte ich mich ...
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