1. Ausgrabungen


    Datum: 25.07.2020, Kategorien: Reif Autor: postpartem

    ... mich gleich übergeben zu müssen, gefolgt von einer Leere und Lähmung, die ich in dieser Form auch noch nicht kannte.
    
    Dass jemand vor meinem Schreibtisch stand, merkte ich erst nach geraumer Zeit. Dass diese Person auch noch unverschämt grinste, brachte mich wundersamerweise aus dem Zustand der Apathie heraus. Trotzdem dauerte es noch Sekunden, bis sich in meinem Geist auch das zugehörige Gesicht und Gestalt einfand. Annalena, wer sonst. Nur zögernd dämmerte mir, dass sie da nicht zufällig stand, sondern dass ich sie wegen ihrer letzten Arbeit zu mir bestellt hatte.
    
    "Ehm, biste jetzt ansprechbar, oder soll ich später nochmal wiederkommen?" "Was? Wie... sapperlot, wie lange stehen Sie... wieso, Moment, ich muss mich erst sammeln. Schlechte Nachrichten... ich bin ein wenig, was sag ich, extrem... verwirrt... echauffiert..."
    
    Ihr Grinsen wurde zu allem Überfluss auch noch breiter.
    
    "Sapperlot? Wo haste das denn ausgebuddelt... deine Flüche eben klangen da deutlich zeitgemäßer, auch wenn ich nur die Hälfte verstanden hab. Fluchst du immer in anderen Sprachen, wenn du abgehst wie Schmidts Katze?"
    
    Ihre schnoddrige Art und stete Weigerung mich wie alle anderen Studenten zu siezen, was mich sonst eher aufbrachte, schaffte in diesem Moment jedoch einen gegenteiligen Effekt zu erzielen.
    
    "Italienisch. Weiß auch nicht warum."
    
    Ich seufzte tief und wischte mir offen die Tränen aus den Augen. Eigenartigerweise fühlte ich keine Scham, vor ihr so völlig außer Kontrolle ...
    ... gewesen zu sein. Nun hatte ich aber wieder den Faden verloren.
    
    "Schlechte Nachrichten?", holte sie mich ins aktuelle Gespräch zurück.
    
    "Ja, und was für welche. Dich betrifft es schließlich auch", sprudelte es aus mir heraus, während mir gleichzeitig auffiel, dass ich sie zum ersten Mal ebenfalls duzte. Mühsam versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. "Die Finanzierung... geplatzt, wie die Segefeld-Stiftung auch... wir sind sozusagen..."
    
    "...voll in den Arsch gefickt", ergänzte sie verstehend und fläzte sich auf den Besucherstuhl vor meinen Schreibtisch.
    
    "Nun... das trifft es schon...", erwiderte ich mit einem lahmen Räuspern. "Zumindest... ist unsere Planung jetzt Makulatur. Es ist eigentlich in der Kürze der Zeit auch nicht machbar, andere Quellen in dieser Größenordnung aufzutun..."
    
    Der Dig sollte bereits Mitte Juni beginnen. Alles war bis aufs i-Tüpfelchen geplant und organsiert gewesen, eine Villa gemietet, die Flüge gebucht, der Transport unseres Equipments auf dem Landweg, die einheimischen Gräber fürs Grobe engagiert, alles, alles perfekt vorbereitet. Bis auf die Tatsache, dass wir nun von all dem nichts zahlen konnten. Das nämlich hing alles von dem hohen fünfstelligen Betrag der Stiftung ab, der nun nie auf unserem Konto landen würde. Mir wurde wieder übel.
    
    "Du bist ja leichenblass... eben warste noch rot wie'ne Tomate. Kann auch nicht gesund sein, komm lass uns an die frische Luft..."
    
    Irritiert bemerkte ich, dass ich in einem momentanen Blackout gar ...
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