Ahrweiler - oder: das Buch des Lebens
Datum: 11.08.2020,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Plautzi
... hinterlassen. Ich leuchtete an ihrem Oberkörper vorbei. Ein zweiter Hohlraum tat sich auf. Größer als der, in dem ich mich gerade befand.
Es gelang mir, mich ein Stück neben die Frau zu schieben, und ihr eine Hand auf den Rücken zu legen. Sie lag in Bauchlage, und ein Balken hatte sie auf Höhe der Schulter getroffen. Ich hörte sie stöhnen. Sie musste höllische Schmerzen haben. Das Holz hatte ihr die Bluse zerrissen, und eine tiefe Wunde hinterlassen. Ein dünnes Rinnsal Blut floss daraus, und versickerte im Dreck. Vielleicht hatte der Staub sogar eine schlimmere Blutung verhindert. Immer noch besser eine Blutvergiftung zu bekommen, als langsam aber sicher zu verbluten. Eine Sepsis kann man heute gut behandeln.
Ich versuchte den Durchgang neben ihr zu verbreitern. Ich musste unbedingt in den anderen Hohlraum, noch tiefer in den Trümmerhaufen hinein. Ich wollte zu ihrem Kopf.
Ihre Stimme war schwach. Sie hörte sich merkwürdig an. Ihr Mund musste trocken sein. Sie musste Durst haben. Mein Herz machte einen kleinen freudigen Hüpfer. Sie hatte mich verstanden, als ich mich vorstellte, und sie hat sich sogar meinen Namen gemerkt.
Und gleichzeitig konnte ich ihre Schmerzen selbst fast körperlich spüren.
Ich schob mich zurück zum Spalt, ließ mir eine Flasche Wasser geben, und deponierte sie in der Höhle. Dann nahm ich eine Zweite mit nach unten, die ich gleich der Frau geben wollte.
Mit letzten Kraftreserven konnte ich das schwere Holz von ihrem Rück nach oben ...
... drücken, und notdürftig mit einem Stein abstützen. Eine Hydraulikpresse wäre jetzt genau das Richtige. Aber erstens habe ich keine, und zweitens wäre hier unten auch kein Platz dafür.
Ihr Brustkorb war entlastet. Tief sog sie die Luft in ihre Lungen, sodass sie Husten musste. Staubwolken flogen in den Hohlraum unter ihr. Sie hätte sich nun etwas bewegen können, aber es gelang ihr aus eigener Kraft nicht.
Ich zog sie etwas an mich heran. Sie schrie auf. Ich hatte nicht an ihr Bein gedacht. Verdammt, dass hätte nicht passieren dürfen.
Ich kroch zurück zum nun weit geöffneten Spalt, und organisierte eine Schiene zum aufpusten. Es wäre gut gewesen, ihr ein starkes Schmerzmittel zu spritzen, aber ein Arzt war auf die Schnelle nicht verfügbar, und die zwei jungen Sanitäter durften solche Medikamente nicht verabreichen. Es tat mir jetzt schon leid, ihr solche Schmerzen zufügen zu müssen, aber es gab keine Alternative.
An einem Seil wurde eine Trage herabgelassen, auf die ich meine Patientin schnallen sollte, wenn sie befreit war.
Den folgenden Schrei werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen, als ich ihr Bein anhob und in die Schiene legte.
Ich hatte ihr ein kleines Hölzchen zwischen die Zähne gesteckt, auf das sie beißen sollten und hatte mich vorher schon für die Schmerzen bei ihr entschuldigt.
Plötzlich war es still im Hohlraum, und ihr Atem war flach geworden. Die Schmerzen hatten sie bewusstlos werden lassen. Im Grunde musste man der Natur dafür dankbar ...