1. Ahrweiler - oder: das Buch des Lebens


    Datum: 11.08.2020, Kategorien: Romantisch Autor: Plautzi

    ... was ihr nicht besonders gut gelang. Sie hob die Hand, winkte kurz mit den Fingern und sagte:
    
    ist wohl die gebräuchlichste aller Abkürzungen für meinen Vornamen. Und trotzdem war Imke, von meiner Mutter mal abgesehen, die einzige meiner Freundinnen, die mich so genannt hatte.
    
    Und nachdem sie das gemacht hatte, fühlte es sich bei ihren Nachfolgerinnen falsch an, und deshalb mochte ich es auch nicht mehr.
    
    Imke hatte es nicht vergessen. Für sie war es anscheinend selbstverständlich mich wieder so zu nennen, denn sie zögerte keine Sekunde. Beim ersten Mal musste ich darüber lächeln und ließ es kommentarlos zu. Danach hatte es sich verselbstständigt. So war es nur logisch, dass ich sie zum Abschied
    
    nannte ... wie früher.
    
    Die Aufräumarbeiten waren zur Routine geworden. Die Chance, noch lebende Personen unter den Trümmern zu finden, war nach einer guten Woche gegen Null gesunken. Wenn wir doch mal wieder einen Menschen fanden, war es immer eine Bergung. Manche von ihnen waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, nachdem sie viele hundert Meter von der Flut und den Trümmern mitgerissen worden waren.
    
    Später, einige Wochen nach dem Einsatz erfuhr ist, dass insgesamt 132 Tote geborgen wurden, und noch 73 Personen vermisst werden. Die Behörden arbeiten fieberhaft daran, die genaue Zahl zu ermitteln. In dem Chaos konnte niemand ausschließen, dass Opfer doppelt gezählt wurden.
    
    An dem Abend, nach meinem zweiten Besuch bei Imke, passierte nichts Außergewöhnliches. Wobei ...
    ... die ganze Stadt unwirklich war, und die Lage, auch fast vier Wochen nach der Flut, mehr als nur Außergewöhnlich war.
    
    Wir schoben weiter Schlamm aus den Häusern, räumten zerbrochene Baumaterialen von den Straßen, beluden Lkw, und verteilen warme Getränke und Nahrung. Nach und nach trafen erste Hilfsgüter ein. Kleidung und Geld wurden an die Bewohner verteilt, und noch bewohnbare Wohnungen und Häuser konnten mit ersten Möbeln versorgt werden. Tagsüber herrschte reges Treiben in den Straßen, die schon fast wieder überall befahrbar waren.
    
    Es war klar, dass unser Einsatz nicht verlängert werden musste. Die meisten meiner Männer und Frauen, die ich mit hierhergebracht hatte, konnten dieses ohnehin nicht. Berufliche oder nachvollziehbare, private Gründe, verhinderten das.
    
    Es hatten sich viele Freundschaften gebildet, die sicher auch noch lange nach der Katastrophe bestand haben würden.
    
    Telefonnummern und Adressen wurden getauscht, gegenseitige Besuche vereinbart, und auch spätere Hilfe zugesagt.
    
    Und ich? Ich hatte Imke wiedergefunden. Und ich würde sie mit an die Weser nehmen, wenn sie es den wollen würde. Aber was bedeutete das für mich, musste ich mir über meine Gefühle im Klaren werden? Gab es denn überhaupt welche? Vieles, und wir selbst auch, hatte sich in den letzten Jahren verändert, und doch waren wir immernoch Imke und Florian. Doch jetzt waren wir noch verschiedener als damals. Erwachsener und reifer.
    
    Ich hatte mein gut gehendes Atelier, ein gut gefülltes ...
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