Ahrweiler - oder: das Buch des Lebens
Datum: 11.08.2020,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Plautzi
... passiert. Auch Imke musste sich neu orientieren. Ob sie wohl schon aus dem Krankenhaus entlassen war? Und wenn, dann hatte sie sicher noch einen stabilen Gips am Bein, der sie ans Bett oder an eine Couch fesseln würde. Wie es ihr körperlich ginge, konnte ich einigermaßen einschätzen. Aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung davon, wie es ihr psychisch ging, wie sie ihre Trauer bewältigen konnte.
Wie sie wohl reagieren würde, wenn wir plötzlich vor der Tür stehen. Würde sie sich freuen, oder uns einfach nur wütend die Tür vor der Nase zuschlagen? Sollte das passieren, hatte ich mit den Eltern besprochen, dass wir uns ein wenig die Gegend ansehen, und dann in ein Hotel einchecken würden, um dann am nächsten Tag die Rückfahrt anzutreten.
Im Schritttempo schlichen wir durch die Straßen von Ahrweiler. Wie zu erwarten war, hatte sich wirklich einiges getan.
Die Bewohner und die vielen Hilfskräfte hatten seit der Katastrophe unmenschliches geleistet. Die Müll- und Schuttberge waren aus der Stadt verschwunden. Man hatte einen großen Platz gefunden, wo die Massen gut sortiert in langen Reihen aufgeschüttet wurden, wo sie auf ihre Abfuhr warteten. Leider konnten sich dort auch unkontrolliert die Ratten vermehren, die mittlerweile wohl auch zu einem großen Problem geworden waren.
Der braune Schlamm, der noch vor wenigen Wochen aus den Häusern geschoben wurde, war entweder von den Feuerwehren, oder von Regenschauern zurück in das Bachbett gespült worden, wo er hergekommen ...
... war.
Nichts war mehr von dem reißenden Fluss zu sehen. Längst hatte er sich auf seinen Ursprung besonnen, und war nun wieder zu einem friedlichen Bach geworden. Verglichen mit den Wassermassen von vor ein paar Wochen, war er zu einem Rinnsal verkümmert, dem man solch zerstörerische Kraft nicht ansatzweise zutrauen würde.
Ich glaube, es war gut, dass Maria und Walter diese deutlich abgeschwächte Variante der Zerstörung zu sehen bekamen.
Ich hatte ihnen gezeigt, wo ich Imke und ihren Sohn gefunden hatte. Das Haus, was dort früher gestanden haben musste, war dem Erdboden gleich gemacht. Nur eine aus Beton gegossene Bodenplatte mit einer abgesperrten Treppe in den Keller erinnerte an das Gebäude. Mit der Zeit wird auch das verschwinden, und dann konnte nichts mehr an das grausame Schicksal der jungen Familie erinnern, und selbst die würde man irgendwann vergessen haben.
Für Imkes Eltern war es wegen der vorangeschrittenen Aufräumarbeiten unvorstellbar, wie es hier ausgesehen haben musste. Ich allerdings, hatte ganz andere Bilder im Kopf.
Im Krankenhaus erfuhren wir, dass Imke bereits vor ein paar Tagen entlassen worden war. Ich wußte, wo ich sie aufsuchen musste.
Ich parkte meinen Audi vor dem verwahrlosten Grundstück von Susanne. Ich sah gerade noch, wie die Gardine wieder
vor ein Fenster fiel. Sie hatte uns also schon bemerkt. Was blieb war die Frage, ob sie uns aufmachen würde. Mich konnte sie ja vielleicht noch erkannt haben, aber die anderen Personen waren ...