Ahrweiler - oder: das Buch des Lebens
Datum: 11.08.2020,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Plautzi
... schenkte.
Die Fahrt ins Ahrtal zog sich endlos. Wir hatten uns mit den anderen Feuerwehrfahrzeugen zu einer kleinen Kolonne zusammengetan, und waren froh, dass zu den sowieso schon zähen 368 Kilometern nicht noch endlose Staus dazu kamen. Wir hatten eine Übernachtung auf einem Rastplatz eingeplant, und dazu ein paar kleine Zelte im Gepäck, die auch in Ahrweiler als Unterkunft dienen sollten, falls es keine festen Unterkünfte für uns geben würde, wovon angesichts der aktuellen Lage leider auszugehen war.
Die letzten Kilometer vor dem eigentlichen Ziel konnte man bestenfalls erahnen, welche Unwetter hier gewütet haben mussten. Hier und da sahen wir unterspülte Straßen, umgestürzte Bäume, abgerutschte Hänge. Und je näher wir an unseren Einsatzort kamen, desto größer waren die Verwüstungen und Schäden. Kleine Bäche waren zu wütenden Strömen geworden, und rissen schonungslos alles mit, was nicht Niet- und nagelfest war. Uferböschungen waren längst nicht mehr zu erkennen, und weite Teile der Landschaft waren unter einer braunen Suppe verborgen, die sich ohne Rücksicht auf Verluste, und unbeirrt ihren Weg suchte.
Ahrweiler lag völlig zerstört vor uns. Nichts war von der einstigen Schönheit dieser Stadt mit ihrem alten Charme übrig geblieben. Mit unbändiger Kraft herausgerissene Türen und Fenster, Berge von Bauschutt unterschiedlichster Sorten, nicht feinsäuberlich sortiert, sondern wild durcheinander zusammengespült, türmten sich überall.
Eingedrückte Hauswände, ...
... teilweise eingerissene Fachwerkmauern, sogar ganze Häuser dem Erdboden gleich gemacht. Zu Kleinholz geschredderte Wohnwagen, aufgetürmte Fahrzeuge, verbeult, mit aufgerissenen Hauben und Türen, mit einer dicken, schmierig-braunen Schlammschicht überzogen, zu skurrilen Skulpturen aufgetürmt. Ganze Straßenzüge vernichtet, festgemauerte Wände, zu Sand zermahlen. Riesige Löcher in den Straßen, den Asphalt mitgerissen, unerreichbare Hauseingänge, weil das Wasser noch meterhoch in den Häusern stand. Ich sah Spielzeug, Puppen und Figuren an mir vorbeitreiben. Kleidung, die aus den Häusern, oder von den Wäscheleinen gespült wurde. Noch nie hatte ich solch zerstörerische Gewalten gesehen. Im Fernsehen, dort schon, zuletzt beim Jahrhunderthochwasser der Elbe. Unvorstellbare Einzelschicksale, Menschen ihrer Unterkünfte und Habseligkeiten von der Natur beraubt. Für mich dramatisch, einfach unfassbar. Ich war den Tränen nahe.
Wie versteinert stand ich mit offenem Mund auf einer Kreuzung, und drehte mich langsam im Kreis.
Ich hatte mir dorthin gestellt, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Aber es war unmöglich. Wohin ich auch schaute, überall Zerstörung, Chaos und unvorstellbares Leid.
Überall Menschen, die Dreckverschmiert, scheinbar planlos umherirrten. Weinende Frauen und Kinder, verzweifelte Männer, denen nach vielen Stunden anstrengender Arbeit langsam aber sicher die Kraft ausging.
Auch nach Tagen waren noch nicht alle Angehörigen gefunden. Vermisst, vielleicht in den ...