1. Der Cassandra Komplex


    Datum: 24.08.2023, Kategorien: Romantisch Autor: postpartem

    ... billige Anbiederungsversuche fiel ich nicht herein. Ich seufzte innerlich und dann betraten wir meine Wohnung. Ich zeigte ihr zunächst das Zimmer.
    
    "Die Möbel sind alt, aber aus einer Zeit, in der noch stabil und gründlich gearbeitet wurde. Nur das Bett ist relativ neu, es ist im Grunde ein Pflegebett, was sich motorisiert in der Höhe verstellen lässt. Meine Mutter hat nicht viel Gelegenheit bekommen, sich daran zu erfreuen. Vermutlich ist dies keine Möblierung, in der sich eine junge Frau wie du wohlfühlen könntest?", testete ich meine geheime Hoffnung sofort.
    
    "Es ist wunderschön, ich werde es wahrscheinlich etwas umbauen, aber mit den Möbeln selbst komme ich gut zurecht. Den großen Sessel da kann ich nicht gebrauchen, könntest du ihn irgendwo anders lagern? Er nimmt ziemlich viel Platz weg."
    
    Alles beschlossene Sache? Schauen wir mal.
    
    "Natürlich. Ich zeige dir jetzt den Rest der Wohnung. Bei Tage ist es natürlich ein gänzlich anderer Anblick, es ist eine sehr helle Wohnung...", gab ich zu allem Überfluss preis und biss mich dabei selbst ertappend auf meine Lippe. "Ehm... das ist das Wohnzimmer, wiederum von meinen Eltern möbliert, aber ich habe weder die Mittel noch die Energie, sie nach meinen Wünschen zu gestalten. Wobei ich mir nicht sicher wäre, wie diese aussehen würden."
    
    Irritiert bemerkte ich, dass sie dem Ambiente überhaupt keine Beachtung schenkte und sich stattdessen einem Bild von mir und einigen Kameraden widmete, dass ich meiner Mutter einmal zu ...
    ... Weihnachten geschenkt hatte.
    
    "Du warst Soldat?"
    
    "Ja, zwanzig Jahre lang Berufssoldat, im Stab, Planung und Logistik. Das Foto stammt aus meiner Zeit in Afghanistan."
    
    "Oh mein Gott, das muss furchtbar gewesen sein."
    
    Das war es in der Tat gewesen, aber woher wollte sie das wissen? Langsam dämmerte in mir die Erkenntnis, dass anstatt von anregenden Gesprächen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, mir vermutlich grausame Fragestunden über mich und mein persönliches Leben ins Haus standen. Die Art, wie sie aufblühte, war kein gutes Zeichen.
    
    "Das ist das Bad, wie du siehst kann man in der Badewanne auch stehend duschen", gab ich bekannt und verfluchte mich, dass ich den Toilettendeckel runtergemacht hatte. Den Patienten-Lift, der meiner Mutter und mir beim Absetzen in der Wanne geholfen hatte, war von der Krankenkasse bereits wieder abgeholt worden lassen.
    
    "Wundervoll. Und alles so makellos sauber... hast du extra wegen der Führungen geputzt, oder..."
    
    "Ich bin ein sehr reinlicher Mensch. Hygiene ist wichtig. Ordnung ist das halbe Leben", gab ich zum Besten, was mir in Kindheit und Ausbildung eingebläut worden war.
    
    Jetzt lächelte sie sogar.
    
    "Die Küche. Auch nicht die modernsten Geräte, aber sie sind alle funktionstüchtig. Gasherd, Backofen, eine kleine Mikrowelle, Waschmaschine und Kühl- Gefrierkombi. Die Wäsche kann man im Sommer auf dem Balkon aufhängen, da steht nur im Moment ein wenig Gerümpel, das ich noch nicht zu entsorgen kam. Im Winter ...
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