Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... amerikanischen, britischen und unseren Fahrzeugen an dem verlassenen ausgebrannten Auto vorbeifuhr, in dem der Sprengsatz untergebracht war.
Oft genug aber erlebte wir die Gräuel des Danach. Die vielen Verletzten und Verstümmelten unter den zivilen Flüchtlingen, die aus den Kampfgebieten um ihr Leben rannten. Hingerichtete, Erschossene, von Granaten zerfetzte Leiber am Wegesrand, aber auch die Auswirkungen von Luftangriffen der Alliierten.
Ganze Dörfer in Schutt und Asche. Tote Taliban-Kämpfer, ja. Aber ebenfalls Kinder unter den Leichen, Alte, Kranke, die nicht hatten fliehen können oder wollen. Bilder, die man nicht vergaß, die auch jetzt noch, im Jahre 2008, so frisch wie in den erlebten Kriegstagen waren.
Warum ich ausgerechnet jetzt daran denken musste, mit der sich langsam beruhigenden Frau im Arm, die sich dankbar von mir das Haar streicheln ließ? Gleichfalls mehr ein Reflex, als eine bewusste Handlung. War es, dass die Konfrontation mit ihren Gefühlen mir Zugang zu meinen eigenen, so sorgsam vergrabenen, verschaffte?
Fast unmerklich löste sie sich von mir, rieb sich ihr Gesicht und schaute mich dann direkt an.
"Tut mir leid, das Gespräch hat mich ziemlich mitgenommen. Es ist... so viel schwieriger mit ihr, als mit Jonas. Von ihm lass ich mich scheiden, sobald das möglich ist und die Geschichte findet ein Ende. Birgit wird auf Lebenszeit meine Schwester bleiben... verstehst du?"
"Ja, ich denke schon. Hattet ihr vorher ein gutes ...
... Verhältnis?"
"Nicht immer, wie das bei Geschwistern halt so ist. Du hast keine Geschwister?"
"Nein, ich bin ein Einzelkind. Was ich ziemlich bedauert hatte, als ich kleiner war. Meine Freunde mit Geschwistern hatten auch an Regentagen immer jemanden zum Spielen. Später war ich oft froh, wenn mir meine Freunde von den Problemen mit ihren Brüdern oder Schwestern berichtet haben."
Sie nickte und starrte vor sich hin. Dann seufzte sie.
"Wunden heilen. Manche brauchen länger als andere. Manche nie, aber man lernt, mit ihnen zu leben", meinte sie, wobei nicht klar wurde, ob sie das mir oder sich selbst erzählte. "Hast du noch etwas von dem guten Wein?"
"Natürlich, wir haben gestern nur vier Gläser getrunken. Ich hole ihn sofort."
Sie wollte etwas einwenden, aber da war ich schon aufgesprungen und auf dem Weg in die Küche. Ich fühlte mich unwohl in dieser Situation, weil mir die Verhaltensregeln mal abgesehen von den eher instinktiven Reaktionen nicht bekannt waren. Auch nicht, wie ich sie verbal auffangen könnte, oder ob das überhaupt von mir erwartet wurde.
Schweigend tranken wir ein Glas Wein zusammen.
"Du hast auch gezittert, als du mich im Arm gehalten hast. Warum?"
Das war mir selbst nicht aufgefallen, aber ja, das konnte durchaus so gewesen sein.
"Das ist nicht leicht zu erklären... ich habe mich eines Kameraden erinnert, den ich einmal ähnlich unterstützt hatte, nachdem er einen Schock erlitten hatte. Dann kamen andere Bilder aus der Kriegszeit in mir hoch."
Zu ...