Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... befremdliche und unangemessene Weise intensiviert und verschärft, entlud sich nach diesem Sommer wie ein Gewitter.
Keineswegs der mutigen Art, denn sie einfach anzusprechen war auch weiterhin für mich undenkbar und unmöglich gewesen. Nein, ich hatte zu dieser Zeit selbst mit dem Schreiben begonnen. Fand auf diesem Weg Zugang zu mir und der Welt, konnte mich so und dort exponieren und explizieren. In selbst geschaffenen Welten, Liebes- und anderen Abenteuern mein Selbstbild entwickeln konnte, mich erproben und unter Beweis stellen.
Also wagte ich eine Kontaktaufnahme über dieses vermeintlich sicherere Medium, stellte ich mich und den Überschwang meiner Gefühle für sie in einem vermutlich bizarren dreiseitigen Brief in Worten zur Verköstigung dar, und steckte ihr diesen in einer Pause im dritten Anlauf zu. Noch nie hatte ich mich jemanden so geöffnet, so viel über mich und meine Gefühle preisgegeben.
Mit Herzklopfen und dem Gefühl im Boden zu versinken, nahm ich am nächsten Tag ihre ebenfalls schriftliche Antwort entgegen. Immer noch erschrocken über mich selbst, mich so weit vorgewagt zu haben. Mich zum allerersten Mal nicht von allen quälenden Selbstzweifeln und vielleicht in geringem Maße vorhandenen Minderwertigkeitskomplexen ausgebremst, zur Beurteilung jemand anderem überlassen hatte.
Sie schrieb nur einen Satz als Antwort, in sehr schöner Handschrift:
Auf alles war ich gefasst gewesen, auf einen freundlichen aber bestimmten Korb, denn nur so konnte ...
... meiner Meinung von ihr nach ein solcher erfolgen. Sogar auf die vage und seligmachende Perspektive, dass sie mich "erhören" und meinen Vorschlägen zum Kennen- und Liebenlernen folgen würde. Vielleicht auch einfach mein Pamphlet und mich ignorieren würde, das ich wie Luther an die Tür ihres Herzens zu nageln gewagt hatte.
Dieser Satz aber riss mich aus allen Blütenträumen und Ängsten gleichermaßen, erwischte mich polarkalt in der Spätsommerhitze, erschütterte mich in meinem Wesen. Mal abgesehen davon, dass ich ihr mit ihren sechzehn Lenzen eine solch tiefe Spruchweisheit trotz meinem, in keiner Weise durch Realität gestützten Bild einer liebevollen Göttin, nicht zugetraut hatte, verstand ich ihre ganze Art der Kommunikation nicht.
Klar schien mir lediglich, dass ich einen Ablehnungsbescheid bekommen hatte. Den ich aber nicht verstand, oder nicht vollständig. Dass es ein solcher nicht unbedingt gewesen sein musste, ging mir zu diesem Zeitpunkt nicht auf.
Vielleicht war es anders gemeint gewesen, als ich es auffasste, vielleicht die Aufforderung zu einem tatsächlichen Dialog, denn ihr Verhalten stand im Widerspruch zu der vermeintlich klaren Botschaft. Sie wich meinem Blick auch weiterhin nicht aus, zog sich keineswegs aus zufälliger Nähe zurück, erweckte oft sogar den Eindruck, dass sie auf eine Reaktion vor mir wartete. Die sie nicht mehr erhielt.
Ich war geschockt, völlig verunsichert, weniger weil ich diese Absage erhalten hatte, denn dass dies der wahrscheinlichste ...