Der Cassandra Komplex
Datum: 24.08.2023,
Kategorien:
Romantisch
Autor: postpartem
... vielleicht?"
Der ältere Herr, der damals davorgestanden hatte, ohne sich die Kontakt-Info mitzunehmen.
"Ja, bedauerlicherweise. Es war ein Zimmer in meiner Wohnung und ich habe schon vermietet, das tut mir wirklich leid."
"Das muss es nicht, so ist das halt bei uns alten Leuten, wir brauchen unsere Zeit, um uns mit einer neuen Idee überhaupt anzufreunden. Ich lebe schon so lange allein... nun, das soll Sie nicht weiter belasten, ich freue mich für Sie, dass Sie so schnell Erfolg hatten und einen Mitbewohner gefunden haben."
"Eine Mitbewohnerin. Was das Letzte war, was ich mir gewünscht hatte und sich nun als der absolute Glücksgriff und Wendepunkt meines Lebens herauskristallisiert hat. Mit ihr ist die Liebe in mein Leben eingezogen, wenn ich das so sagen darf..."
"Oh... wundervoll, das freut mich umso mehr für Sie. Meine Frau ist schon fast zwanzig Jahre verstorben, aber ich vermisse sie heute noch. Sie war ein Teil von mir... mit Sicherheit sogar der Bessere davon. Nun, ich wünsche Ihnen und Ihrer Mitbewohnerin alles erdenklich Gute. Man sieht Ihnen das Glück übrigens an. Das muss ja eine außergewöhnliche Frau sein."
"Das ist sie, absolut, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr Sie da die Wahrheit getroffen haben", gab ich zurück. Ich sah, dass er im Begriff war, sich zurückzuziehen und wusste im selben Moment, dass ich ihm noch mehr geben konnte. Und wollte.
"Wie ist das, ich habe gerade frischen Kaffee aufgesetzt... Möchten Sie sich ...
... vielleicht zu mir setzen und ein wenig von Ihrer Frau und Ihrem Leben erzählen, während wir ein Käffchen trinken? Hier ist, wie Sie sehen, nicht gerade die Sturm und Drang Zeit..."
"Oh, freilich, sehr gerne sogar. Dann müssen Sie mir aber auch von der jungen Dame erzählen. Die Neugier im Menschen stirbt zuletzt. Weiß gar nicht mehr, wer das mal gesagt hat."
Wir redeten fast drei Stunden. Sebastian war eine faszinierende Persönlichkeit, ein Biologe im Ruhestand, der meine Liebe zur Literatur und Philosophie teilte, wie wir rasch herausfanden. Also im Grunde tatsächlich nach meinem damaligen Wissensstand eine absolute Bestbesetzung für das Zimmer gewesen wäre, was ich ihm so auch mitteilte.
Fasziniert hörte er sich meine Erzählungen über Claudia an, aber auch seine Frau schien wirklich eine großartige Frau gewesen zu sein, die leider früh an Krebs verstorben war. Am Ende bot ich ihm an, unser Plauderstündchen zu einer regelmäßigen Geschichte zu machen und ihn vielleicht auch einmal Claudia vorzustellen, wenn er das wollte.
"Unbedingt, unbedingt. Und beim nächsten Mal bringe ich Kuchen mit", meinte er mit verschmitztem Lächeln. "Es klingt so, als bräuchtest du dir in absehbarer Zukunft keinerlei Gedanken um möglichen Fettansatz zu machen. Ich bin darüber hinaus, also können wir nach Herzenslust schlemmen."
Er würde bereits am folgenden Montag wiederkommen. Ich erzählte Claudia von dieser netten Begegnung und sie freute sich mit mir und für mich. Es war eines von vielen ...