1. Der Cassandra Komplex


    Datum: 24.08.2023, Kategorien: Romantisch Autor: postpartem

    ... wahrgenommen wurde, und begab mich nach Ladenschluss zum Supermarkt, da ich dort ohnehin einkaufen musste.
    
    Nachdem ich meine Einkäufe in den mitgebrachten Taschen verstaut hatte, wollte ich den Zettel aufhängen. Und stellte fest, dass es mit meinem logistischen Genie, was mir manche unterstellten, wohl doch nicht so weit her war, denn ich hatte nicht daran gedacht, wie ich es an der dort dafür vorgesehenen Kunststoff-Pinwand anbringen könnte.
    
    Im Laden hatte ich selbstverständlich Klebeband zur Verfügung gehabt. Was nun? Noch einmal zurück mit all den Einkäufen, um dort solches käuflich zu erwerben, oder vielleicht eine der Kassiererinnen ansprechen und um Hilfe bitten? Nein, es war wie immer nach Feierabend voll und sie sahen gestresst aus. So nicht, lieber noch einmal reingehen.
    
    Und die ganzen Tüten und Taschen? Ausgerechnet an diesem Tag wollte ich den Aushang mit einem überfälligen Großeinkauf verbinden. Die Frau, die ihren Wagen ebenfalls richtig gefüllt hatte und neben mir fahrig und unschlüssig einpackte, würde sicher noch eine Weile damit beschäftigt sein. Also sprach ich sie an.
    
    "Entschuldigen Sie bitte... Ich wollte hier einen Aushang loswerden und habe gerade festgestellt, dass es mir an Tesa fehlt... Wären Sie vielleicht so nett, einen Augenblick auf meine Taschen zu achten, während ich schnell noch einmal reinlaufe?"
    
    Die Frau schaute mich zum ersten Mal direkt und unverwandt an. Ich schätzte sie im ersten Eindruck auf Anfang dreißig, mit seltsam ...
    ... ungeordnet wirkender Frisur und leicht geröteten Augen, die mich nichtsdestotrotz ausdrucksstark fixierten.
    
    "Natürlich, kein Problem. Was wollen Sie denn loswerden?", fragte sie mit mildem Interesse und holte sich die Antwort selbst mit einem raschen Blick auf den Aushang, den ich neben meinen Tüten ablegte.
    
    "Ein Zimmer in meiner Wohnung", erklärte ich trotzdem. "Das ist sehr nett von Ihnen und es wird auch bestimmt nicht lange dauern, sofern die langen Schlangen an der Kasse mir da nicht einen Strich durch die Rechnung machen."
    
    Und wollte los eilen.
    
    "Warten Sie, das brauchen Sie nicht. Ich nehme es."
    
    Ich fror buchstäblich in meiner Bewegung ein. Indigniert nahm ich zur Kenntnis, dass mein unterstrichener Satz "männliche Mitbewohner bevorzugt", den ich eigentlich nur so formuliert hatte, um nicht vollends misogyn zu wirken, ihr offenbar entgangen war, oder sie ihn zu ignorieren gedachte. Bevor ich mich davon vollständig erholt hatte, setzte sie zu weiteren Erklärungen an.
    
    "Ich bin verzweifelt auf der Suche. Ich... befinde mich in einer echten Notsituation... ich trenne mich gerade... schmerzhaft... von meinem Ehemann... bitte, hören Sie mich an", würgte sie meinen Versuch zur Erwiderung ab.
    
    "Ich gehe kaputt mit ihm in der Wohnung... und ihr Zimmer, das ist ideal, bis ich mich sortiert habe, vom Preis und von der Lage... wie eine Fügung des Schicksals, dass ich hier auf Sie treffe, verstehen Sie?"
    
    Die ehrliche Antwort wäre ein klares "Nein" gewesen, denn ...
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