1. Dunkles Wasser


    Datum: 12.04.2019, Kategorien: Schwule Autor: byBartolomeu_Dias

    Der eisige Wind brennt ihm in seinen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen, während er auf das aufgewühlte dunkle Wasser der Elbe blickt. Eine einzelne Träne sucht sich ihren Weg über seine bleiche Wange.
    
    Mühsam zieht Matti eine vor Kälte unbewegliche Hand aus der Tasche seiner alten Lieblings-Levi 's, wischt die Träne fort, streicht dabei über seinen Drei-Tage-Bart, und muß lächeln.
    
    Trotz allem muß er lächeln, denn Max erschien vor seinem geistigen Auge. Max, der vor nicht mal 24 Stunden dieselbe Bewegung gemacht hatte. Er hatte ihm über die Wange gestrichen, gelächelt und gesagt: "Ich liebe deinen Bart!".
    
    Matti schaut zum anderen Ufer, und sieht verschwommen kleine rote Wagen über die Kaianlagen flitzen, selbst auf die Entfernung schmerzt ihr drohendes gelbes Blinklicht seinen Augen.
    
    "Er hatte gesagt, er liebt meinen Bart, aber liebt er auch mich?", fragt er laut den Wind. Und wie um zu antworten, schlagen zwei extra starke Wellen gegen die Steine zu seinen Füßen, und ein altes verwittertes Stück Holz landet mit einem Glucksen an Land. Schwarz und glitschig sieht es aus.
    
    Das war die Frage, die Matti an diesem kalten nieseligen September Tag raus getrieben hatte, raus aus seiner gemütlichen Ein-Zimmer-Wohnung, und hin zur windgepeitschten Elbe. Vielleicht würde ihm der Wind, das Wasser, oder der Regen eine Antwort geben, denn er konnte in dem verwirrten Chaos seiner Gefühle keine mehr finden, wußte aber, wenn man lange genug wartet und beobachtet, ...
    ... daß immer eine Antwort kam. Woher auch immer.
    
    So stieg Matti auf sein blaues GT Karakoram Bike, und machte sich auf den Weg durch die sich verdunkelnde Hansestadt. Schon die Frische des Fahrtwinds ließ ihn sich besser fühlen. Er begann seinen Körper wieder zu fühlen, nachdem er sich den ganzen Tag seltsam taub und matt gefühlt hatte. Seine Lungen füllten sich, und das Herz legte einen Schlag zu. Biken war Mattis Ein und Alles. Nach vier Jahren als Messenger waren er und sein GT zu einer Einheit verschmolzen, und er hatte einen rundum Radar entwickelt, der alle Bewertungen im Gesichtsfeld automatisch erfasste. So konnte er das Denken ausstellen, und sich ganz der Bewegung hingeben.
    
    Dieses Mal gelang es ihm jedoch nicht den Kopf frei zu bekommen, die Eindrücke der letzten Wochen waren einfach zu stark gewesen, und immer wieder tauchte Max in seinen Gedanken auf. So merkte er gar nicht, daß seine Fahrt immer schneller wurde, bis ein Taxifahrer versuchte ihn von der Straße zu drängen, und er augenblicklich hellwach war.
    
    Die Wanderwege an der Elbe, und auch der Strand, waren bei diesem unwirtlichen Wetter fast menschenleer. Gemächlich fuhr Matti den Weg entlang, auf der Suche nach einem einladenden Platz. Ein alter, zur Seite geneigter Baum, der vage an die Form eines Fragezeichens erinnerte, schien genau richtig. Denn Fragezeichen fühlte Matti mehr als genug in sich.
    
    Nachdem er das GT an die herausragenden Wurzeln gelehnt hatte, kletterte er vorsichtig auf den feuchten ...
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